Kürzlich habe ich ein Training zum Thema Agilität für die ReDI School in Berlin gegeben. An zwei Tagen habe ich den Studenten die Grundlagen der Agilität näher gebracht. Dabei habe ich mein Training mithilfe der 4Cs aus dem Buch "Training from the Back of the room" gestaltet und damit sehr gute Erfahrungen gemacht. In diesem Artikel soll es um eine kleine Einführung in das Konzept der 4Cs gehen.
Die 4Cs
Die 4Cs stehen für 1. Connect, 2. Concepts, 3. Concrete Practice, 4. Conclusions. Die Wörter beschreiben einen Ablauf, mit dem das gesamte Training gestaltet werden kann oder sogar jede einzelne Lerneinheit. Dieser Ablauf kann also innerhalb eines Trainings mehrmals durchlaufen werden.
Ziel des Ablaufs ist es, das Lernen für die Teilnehmer so effektiv wie möglich zu gestalten.
Dabei ist die Grundhaltung des Trainers, dass man den Teilnehmern so viel Raum zum selbstständigen Lernen geben sollte wie möglich. Das heißt, dass man den eigenen Redeanteil und das klassische Vortragen der Inhalte auf ein Minimum reduziert. Warum? Weil man den Teilnehmern sonst viele Gelegenheiten nimmt, selbst den Lernstoff zu verinnerlichen. Schauen wir uns dazu folgende Lernpyramide an:
Die Pyramide zeigt, wie hoch die durchschnittliche Erinnerungsrate (Retention Rate) bei den Teilnehmenden ist, abhängig davon, auf welche Art der Lernstoff vermittelt und verwendet wurde. Je aktiver die Teilnehmer sind, desto mehr behalten sie vom Gelernten.
Die wissenschaftliche Genauigkeit der Pyramide ist zwar umstritten, aber intuitiv kann wohl jeder bestätigen, dass die Art, wie man neuen Lernstoff aufnimmt, einen Unterschied macht. Somit kann die Pyramide helfen, das eigene Training abwechslungsreicher zu gestalten, was sich sehr gut mit den 4Cs kombinieren lässt.
C1: Connect – Verbindungen zwischen Teilnehmern und ihrem Wissen herstellen
Im ersten Schritt des Trainings geht es um die Verbindung der Teilnehmer mit dem bereits vorhandenen Wissen, dem eigenen Lernziel und mit anderen Teilnehmern im Training. Ziel des persönlichen Kennenlernens ist es, die psychologische Sicherheit zu erhöhen. Denn je wohler man sich in einer Gruppe fühlt, desto besser lernt es sich. Sicherheit führt dazu:
mehr Fragen zu stellen
Dinge auszuprobieren
Fehler zu machen und während des Lernens Risiken einzugehen
die eigene Meinung zu äußern
Allerdings würde ich von klassischen Ice-Breaker-Übungen abraten, die keinen Bezug zum Inhalt des Trainings haben. Zwar können diese Übungen auch die psychologische Sicherheit erhöhen, jedoch verschwenden sie die wertvolle Trainingszeit, weshalb sie bei einigen Teilnehmern auch Ungeduld provozieren und als unnötige Spielereien abgetan werden.
Ein Beispiel für nicht themenbezogene Eisbrecher ist: Zwei Wahrheiten und eine Lüge. Dabei erzählen die Teilnehmer zwei Wahrheiten und eine Lüge über sich und die anderen müssen raten, welche davon die Lüge ist. Das macht vielleicht Spaß und ist interessant, hat aber keine Relevanz für das Lernthema. Man könnte diese Übung mit dem Inhalten des Trainings verbinden, indem die Teilnehmer erzählen, welchen Bezug sie bislang zu dem Thema hatten.
In meinem Training hatte ich die Teilnehmer aufgefordert, in Paaren die Fragen zu beantworten, was sie bereits über Agilität wissen und was sie im anstehenden Training lernen wollen. Anschließend sollten sich die Paare gegenseitig im Plenum vorstellen.
Die Connect-Phase kann auch vor dem Training schon beginnen, indem man den Teilnehmern eine Aufgabe in die Einladungs-Mail schreibt, die sie bis zum Training vorbereiten sollen. Das kann z. B. eine Recherche für ein bestimmtes Thema sein, eine Umfrage oder ein erstes Brainstorming zu den Erfahrungen, die bereits mit dem Trainingsthema gesammelt wurden.
C2: Concepts – Vermittlung des Lernstoffs
Jetzt geht es darum, den eigentlichen Lernstoff zu vermitteln. Wie bereits oben erwähnt, kann dies auf vielfältige Weise geschehen und sollte im Laufe eines Trainingstages auch variieren – idealerweise alle 10-20min.
In meinem Training habe ich folgende Methoden verwendet:
eigenständiges Lesen des Scrum Guides mit anschließendem Vorstellen im Plenum
Ausfüllen vorbereiteter Arbeitsblätter
ein Quiz zu den Agilen Praktiken
Diskussionen in Paaren sowie anschließend im Plenum
Natürlich gab es auch Zeiten, in denen ich Folien an der Leinwand und am Flipchart vorgestellt und erklärt habe, aber ich habe bei jedem Thema für Abwechslung gesorgt und versucht, meinen Input in kurze Häppchen zu zerlegen.
Ein spannendes Feedback der Teilnehmer war, dass sie sich normalerweise nicht so wohl fühlen mit Gruppenarbeiten im Training und lieber passiv dem Trainer bei seinen Erklärungen zuhören. Allerdings empfanden sie es in meinem Training überhaupt nicht als unangenehm. Ich vermute, es lag daran, dass bereits ein höheres Maß an psychologischer Sicherheit hergestellt war und dass die Gruppenübungen sehr klare Anweisungen und einen sinnvollen Bezug zum Trainingsziel hatten. Das hat es den Teilnehmern leichter gemacht, sich auszutauschen und sie wussten stets, welches Ziel bis zum Ende der Gruppenarbeit von mir erwartet wurde.
C3: Concrete Practice – Übung macht den Meister
Sofern möglich, sollten die Teilnehmer das neu erworbene Wissen auch sofort praktisch anwenden, um es zu festigen und Verständnislücken zu schließen. In vielen Trainings folgt ein neuer Inhalt nach dem anderen. Der Trainer meint es zwar oft gut und will so viel Wissen wie möglich vermitteln. Jedoch bleibt den Teilnehmern keine Zeit, den Stoff zu integrieren und eine Kompetenz aufzubauen. Als Folge wird das meiste direkt wieder vergessen und bekommt keine Relevanz im täglichen Leben des Teilnehmers.
“Man lernt nicht schwimmen oder Klavier spielen, indem man ein Buch darüber liest.” (Patricia Wolfe)
Ohne konkrete Übung bleibt die Kompetenz des Lernenden auf einem niedrigeren Niveau als möglich, denn oft hat die Person im Alltag nicht die Möglichkeit, neue Konzepte in einer geschützten Lernumgebung auszuprobieren.
In meinem Training habe ich deshalb viele Modelle und Themen gestrichen, um stattdessen in die Anwendung zu gehen und Übungen mit den Teilnehmern zu machen.
Folgende Möglichkeiten bieten sich an:
Simulationen mit LEGO oder Papier (Scrum LEGO Game, Kanban Pizza Game)
Praxisbeispiele besprechen und auf das neue Wissen anwenden
Einem anderen Teilnehmer die Inhalte erklären
Rollenspiele
Bei den Übungen sollte man darauf achten, dass möglichst alle Teilnehmer eingebunden sind und sich ausprobieren können. Es bringt leider nicht so viel, wenn nur eine Person etwas ausprobiert und alle anderen zuschauen. Außerdem sollte man die Kooperation fördern, statt konkurrierende Teams aufzubauen. Der Stress der Konkurrenz kann das Lernen behindern.
Sind die Lerninhalte keine praktischen Konzepte, sondern wissensbasiert, dann kann eine Anwendung darin bestehen, dass die Inhalte durch Spiele, Präsentationen, Lernen durch Lehren etc. wiederholt werden.
C4: Conclusions – Schlussfolgerungen
Am Ende des Trainings geht es um folgendes:
das Gelernte nochmals wiederholen
den eigenen Lernfortschritt bewerten
ein Aktionsplan für die Zeit nach dem Training erstellen
feiern 🎉
Genauso wichtig wie die Verbindung für den Start des Trainings ist, sind die Schlussfolgerungsaktivitäten wichtig für das Ende des Trainings. Nach dem Primacy-Recency-Effekt bleiben der Anfang und das Ende am ehesten im Gedächtnis haften. Somit sollte man sich diese Chance nicht entgehen lassen und es vermeiden, das Training nach der Vermittlung letzter Inhalte abrupt zu beenden.
Für die Wiederholung der Inhalte eignen sich z. B.
Quizzes oder andere Spiele, in denen das neue Wissen abgefragt wird
Mindmaps
Tischgespräche oder Geh-Gespräche unter den Teilnehmern
Um den eigenen Lernfortschritt zu bewerten, kann man die Teilnehmer bitten, sich entlang einer imaginären Skala auf dem Boden aufzustellen. Dabei wäre das eine Ende der Skala z. B. die Aussage “Ich kann das Gelernte sofort in der Praxis anwenden” und das andere Ende “Ich muss noch viel mehr lernen, bevor ich es anwenden kann”.
Darüber hinaus sollten die Teilnehmer sich überlegen, wie und wann sie das Gelernte in der Praxis anwenden wollen. Je konkreter die Pläne, desto wahrscheinlicher die Umsetzung.
Zum Schluss sollte das Training feierlich ausklingen. Dies kann z. B. dadurch erreicht werden, dass die Teilnehmer ihre Umsetzungspläne vor der Gruppe vortragen und dafür Applaus erhalten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich die Teilnehmer frei im Raum bewegen und sich gegenseitig sagen, was für sie die wertvollsten Lerninhalte waren. Dazu kann im Hintergrund eine heitere Musik laufen, um die Geräuschkulisse etwas zu erhöhen und eine Partystimmung aufkommen zu lassen.
Konkrete Anwendung des Gelernten
Nachdem ich nun die Konzepte der 4Cs dargelegt habe, wollen wir das Gelernte direkt anwenden. Denn wie heißt es so schön: Eat your own dogfood!
Im Folgenden sind verschiedene Aussagen zum Ablauf eines Trainings. Schreibe zu jeder Aussage einen Satz, der die Änderung beschreibt, die du vornehmen würdest.
Das Training beginnt damit, dass sich der Trainer kurz vorstellt und anschließend die Agenda präsentiert und dann in den Stoff einsteigt.
Der Trainer vermittelt sein umfangreiches Wissen charmant und mit unterhaltsamen Geschichten mittels einer Powerpoint-Präsentation, zeigt ein oder zwei Videos und fragt immer mal wieder ins Plenum: “Gibt es dazu noch Fragen?”
Jeweils eine Person aus zwei Teams spielt in einem Quiz um Punkte, während die anderen Teilnehmer den Wettbewerb beobachten.
In der Schulung schauen die Teilnehmer dem Trainer zu, wie er etwas vorführt.
Das Ende des Trainings besteht darin, dass die Teilnehmer einen Feedbackbogen zum Training und zum Trainer ausfüllen sollen.
Mögliche Antworten:
Der erste und letzte Moment eines Trainings bleibt besonders gut in Erinnerung (Primacy-Recency-Effekt). Daher sollte man die Zeit nutzen und direkt die Verbindung der Teilnehmer untereinander fördern, z. B. indem man die Teilnehmer beim Betreten des Raumes auffordert, sich eine andere freie Person zu suchen und ein Interview zu führen, was die andere Person zum Thema weiß und welche Ziele sie verfolgt.
Interessante Geschichten mögen eine lockere Atmosphäre schaffen und die Aufmerksamkeit der Zuhörer länger aufrechterhalten, jedoch bleibt der Kanal, über den Neues gelernt wird, reduziert auf das Hören bzw. Zusehen. Besser wären interaktive Formate, bei denen die Teilnehmer sich das Wissen selbst aneignen, darüber diskutieren und Gelerntes auch sofort praktisch anwenden. Der Trainer sollte also seinen Redeanteil stark reduzieren und sich Möglichkeiten überlegen, wie die Teilnehmer aktiv werden können.
Es mag bequem und unterhaltsam für die Zuschauer sein, dem Quiz-Wettbewerb zu folgen, jedoch haben sie nicht die Möglichkeit, ihre Kompetenz durch praktische Anwendung selbst zu erhöhen. Somit sollten alle Teilnehmer in eine Übung eingebunden sein und es sollte statt einem Wettbewerb eher die Zusammenarbeit gefördert werden, um das Lernen nicht unnötig durch angespannte Emotionen zu behindern.
Etwas zu demonstrieren, ist per se eine gute Möglichkeit, um neuen Stoff anschaulicher zu machen. Jedoch sollten die Teilnehmer im Anschluss die Gelegenheit bekommen, auch selbst Erfahrungen mit der Lösung einer Aufgabe zu sammeln.
Statt das Training und den Trainer zu bewerten, sollten die Teilnehmer ihren eigenen Lernfortschritt evaluieren und die gelernten Inhalte wiederholen sowie Ziele für die praktische Anwendung definieren. Daraus lässt sich dann als Trainer ebenfalls ableiten, wie gut man in der Lage war, dem Teilnehmer beim Aufbau neuer Kompetenzen zu helfen.
Schlussfolgerungen
Zu guter Letzt wäre es nun an der Zeit, dass du dir überlegst, welche Elemente du in deinem nächsten Training konkret verändern möchtest. Erstelle einen Aktionsplan, in dem du dich selbst verpflichtest, das Gelernte aus diesem Artikel anzuwenden. Gehe noch einen Schritt weiter und teile diesen Artikel mit einem Kollegen und sprecht anschließend gemeinsam über die Inhalte, damit sie sich bei dir festigen.
Zum vertieften Lesen empfehle ich dir das Buch “Training from the Back of the room” von Sharon L. Bowman.
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von René Bohrenfeldt
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Blog-Autor*in
René Bohrenfeldt
Agile Coach | People Lead
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