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Knowledge Management – Wie ich ungeplante Texte schreibe

17.7.2022 | 6 Minuten Lesezeit

Dieser Text ist ein Angebot, mir über die Schultern zu schauen, was für mich Knowledge Management ist und wie es mich dazu befähigt, strukturierter zu lernen, Blogposts zu schreiben und Output zu generieren.

In den letzten 30 Jahren habe ich viele Texte geschrieben und betreut: Zeitungsartikel und politische Pressemitteilungen, Reiseberichte und Projektanträge, Angebote und Abschlussarbeiten, eine Promotion und ein gutes Dutzend Vorträge sowie je einen Poetry und Science Slam. Und trotzdem habe ich keine gute Idee, wie ich einen Text zu einem mich bewegenden Thema schreibe. Im Prinzip durchlaufe ich bei allen Texten die gleichen Lernerfahrungen und Probleme. Wahrscheinlich lässt sich an meiner Browserhistorie ablesen, wann ich mal wieder einen Text schreibe.

Ebenso habe ich hunderte Bücher gelesen, unzählige Dokumentationen und Augenzeugenberichte gesehen, tausende Zeilen markiert, jahrelang studiert und promoviert, teilweise hochkomplexe Vorträge erarbeitet und gehalten. Und trotzdem habe ich keine gute Idee, wo all dieses Wissen hin ist, wo ich einen Bruchteil dessen wiederfinden würde. Kurzum, das Meiste davon ist vergessen und verloren. Das ist an sich auch in Ordnung, bedeutet aber in meinem derzeitigen Zustand, dass ich all diese Texte nochmal konsumieren müsste, um ihr Wissen für mich jetzt nutzbar zu machen. Auch hier lässt sich an meiner Browserhistorie ablesen, wann ich denn mal wieder ein neues Notiztool probiere, da das alte unübersichtlich geworden ist oder vor sich hin verstaubt.

Seit einigen Wochen beschäftige ich mich mit Knowledge Management und lese Sönke Ahrens‘ Buch How to take smart notes . Ein dröger Titel für ein Buch, welches mich direkt gefesselt hat. Eine wesentliche Erkenntnis ist: Zeilen zu unterstreichen beim Lesen und Lernen ist nutzlos . Aber warum? Liegt es daran, dass die Notizen nicht mehr erreichbar sind? Das ich keinen Kontext mit ihnen verknüpft habe? Es scheint ähnlich zu sein, wie wenn ich ein Wort nicht finden kann – ich muss umständlich suchen und umschreiben. Im Gegensatz zur unterstrichenen Linie habe ich jedoch einen Kontext, der mich unterstützt, zum eigentlichen Wort zu kommen. Es ist dabei egal, ob man unterstreicht, hervorhebt, auf ein Blatt schreibt oder gar Post-its an den Text zu klebt – nichts davon funktioniert so richtig für mich.

Die Lösung zur Frage ist schlicht: Lernen funktioniert, wenn ich darüber elaboriere – also eine Einleitung gebe, einen erklärenden Blogpost schreibe oder es meiner Oma erklären kann. Der Kontext einer Information ist der Schlüssel – die Auswirkung dieser Information auf das große Ganze ihr Schloss. Dieses Schlüssel-Schloss-Prinzip aus Information und Kontext wird durch den Prozess des sogenannten Zettelkasten nach Niklas Luhmann unterstützt. Danach bestehen meine Notizen nicht lediglich als unterstrichene Zeilen irgendwo in irgendeinem Text, sondern als selbsterstellte und vollständige Sätze mit Bezügen auf andere solcher Informationen an einem zentralen Ort, den ich leicht erreichen und durchforsten kann. In diesem Ort entstehen durch die Arbeit an den Notizen und ihren Verknüpfungen von unten herauf spannende Verknüpfungen und daraus Output. Output kann hier vieles bedeuten. Vom primären Lerneffekt und Erkenntnisgewinn – der Zettelkasten wurde v. a. im wissenschaftlichen Kontext entwickelt – hin zu Blogposts, Romanen und mehr.

Der Zettelkasten kümmert sich mehr um den Kontext und die Details als dem „What“ der Information. Mein Gehirn konzentriert sich auf die Metaebene, Verständnis und den Kurzabriss – kurz den Kontext, das „So what“. Der Zettelkasten besteht aus einer Menge von Zetteln oder Notizen. Je nach Methode werden diese in verschiedene Arten eingeteilt, nach Luhmann sind es flüchtige Notizen, Literaturnotizen und permanente Notizen. Flüchtige Notizen schreibe ich im Moment des Lesens, sie sind meine ersten eigenen Sätze zum Gelesenen. Statt einfach nur abzufotografieren oder zu zitieren, schreibe ich mit meinen eigenen Worten, was ich selbst verstehe, was ich gelesen habe. Hier liegt der Fokus also eher auf mir als auf dem Text. Dabei konfrontiert mich das Schreiben mit den Schwachstellen meines Verständnisses. Im Sprechen kann ich mich selbst um diese Schwachstellen herumwinden, ich kann mich selbst herausreden. Durch Schreiben werden diese Schwachstellen sichtbar und das ist gut, denn am Ende belüge ich mich selbst am leichtesten, wenn ich mein eigenes Verständnis einschätze. Ein wichtiger Aspekt für das spätere Lesen der Notiz ist also auch, ob ich den Primärtext nochmal lesen muss, um meine Notiz zu verstehen – wenn ich gut geschrieben habe, dann muss ich nicht nochmal lesen. Somit ist also das Ausreichen der Notiz zum Verständnis selbst auch ein Indikator dafür, ob ich eine in sich geschlossene Idee wiedergeben kann und daher verstanden habe, worum der Text sich dreht.

Literaturnotizen sind genau das: Referenzen auf Quellen. Sie werden separat gehandhabt, damit der Zettelkasten nicht überfließt mit reinen Verknüpfungsnotizen. Alle anderen Notizen kommen an einen Ort, in einen Kasten, eben den Zettelkasten.

Permanente Notizen sind nun, was aus den flüchtigen Notizen durch Überarbeitung entsteht. Idealerweise komme ich nach kurzer Zeit zurück zu den flüchtigen Notizen und füge sie in den Kontext meines bisherigen Zettelkastens ein. Wohin passen die Informationen noch, welche Verknüpfungen erkenne ich beim Lesen? Was fällt mir noch dazu ein? In diesem Prozess prüfe ich mein Verständnis und destilliere gleichzeitig das Wichtigste heraus – das Permanente der Notiz zeigt sich. Prüfe ich dabei nicht, was ich gelernt oder verstanden habe, so glaube ich lediglich, verstanden zu haben. Es ist quasi mein Blind Spot. Ein relevantes Stichwort ist hier der Mere Exposure Effect. Der Effekt beschreibt die positive Umbewertung eines an sich neutralen Zusammenhanges, wenn ich mich mehrfach damit beschäftige. Es ist wie ein Tutorial, das ich mehrfach lese – irgenwann glaube ich verstanden zu haben, worum es geht, einfach weil ich den Text mehrfach gelesen habe. Das ist ein Trugschluss. Zettelkasten löst dies dadurch auf, dass ich mit eigenen Worten eine in sich geschlossene Idee oder Information je Notiz schreibe.

Nun könnte ich behaupten, dass die Zeit, die ich für das Schreiben der Notizen benötige, auch besser anderweitig verwenden könnte, bspw. indem ich mehr lese. Jedoch, solange ich aus dem Text lernen will, gilt eine Gemeinsamkeit des Lernens zum Sport: die Übungen, die Wiederholung ist wichtig. Wenn ich nicht durch meine Notizen arbeite – hier schreibe ich bewusst nicht „gehe“, da dies auch implizieren kann, lediglich die Notiz anzusehen oder zu lesen – dann erlöschen die Notizen irgendwann, sind unerreichbar und damit vergessen und verloren. Nicht zu notieren verschwendet also, was ich gerade gelesen habe. Daher Sönkes Appell: „Lest mit dem Stift in der Hand“, um persönliche Notizen zu schaffen. Also nicht die Zeit für das Schreiben der Notizen ist „verschwendet“, sondern die Zeit des nicht notierten Konsums. Programmcode und Notizen haben eine Gemeinsamkeit in der Art, wie ich sie betrachte. Anhand der Pfadfinderregel stecke ich bei der jeder Betrachtung auch ein bisschen extra Liebe in die Notiz, um sie schöner und sauberer zu hinterlassen, als ich sie vorfand. So entwickelt sich der Zettelkasten mit jeder Notiz, mit jedem Durchgehen der Notizen weiter. Manche Notizen kommen weiter in den Fokus, andere rücken eher in den Hintergrund. Dieser Prozess ist dynamisch und am Ende auch eine Metapher für mein Gehirn – Notizen, die häufig vorkommen, scheinen zentral für mein Lernen zu sein und bleiben mir stärker im Bewusstsein, ich erinnere mich leichter an sie. Solche Notizen können auch neue Themen oder Verknüpfungen andeuten, die bspw. auf einen möglichen Blogpost hinweisen.

Ich stehe noch sehr am Anfang meines Experimentes mit dem Zettelkasten. Ich experimentiere mit den ersten Tools (nennenswert ist hier Obsidian), lese Bücher (How to take smart notes und demnächst Building a second brain ) und durchforste Online-Listen mit Ressourcen zum Thema. Egal, wie es weitergeht. Bisher haben die letzten Wochen eine spürbare Änderung meiner Art und Weise, Texte zu konsumieren und Wissen abzulegen, hervorgerufen: Plötzlich entsteht Output, den ich nicht geplant hatte. So wie dieser Text. Den habe ich heute aus Notizen in zwei Stunden zusammengefügt.

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