Seit mittlerweile drei Jahren besuche ich eine jährlich stattfindende Software-Qualitäts-Konferenz in Düsseldorf. Früher hieß diese Konferenz „SQC“. Seit diesem Jahr trägt sie den neuen Namen „iqnite“. Die Veranstaltung ist eine Kombination aus Ausstellung (Tool-Anbieter, Zertifizierungsprovider und andere) und Vorträgen. Am Tag vor der eigentlichen Konferenz werden Tutorials angeboten. Ich möchte kurz berichten, was ich dieses Jahr bei der iqnite erlebt habe.
Tutorial Day – 27.04.
Letztes Jahr war ich Teilnehmer an einem sehr interessanten Tutorial über Web Application Security, in dem die wesentlichen Schwachpunkte von Webanwendungen und eben das Vermeiden solcher Sicherheitslücken beschrieben wurden. Da dieses Tutorial für mich inhaltlich sehr wertvoll war (und natürlich weil die Tutorials im Hilton stattfinden, ergänzt um ein grandioses Mittags-Buffet) besuchte ich dieses Jahr ein halbtägiges Tutorial mit dem Titel „Softwareanalyse und Erosionsschutz – Die innere Qualität von Software ist der Schlüssel zum langfristigen Erfolg“. Ein recht langer Titel, der mich etwas an die üblichen Titel wissenschaftlicher Abschlussarbeiten erinnerte. Der Speaker war dann auch Professor für Softwaretechnik – sein Vortrag aber erfrischend wenig wissenschaftlich. Ich habe aus dem Tutorial sehr viele gute Informationen mitgenommen. Ein kompakter, aber meiner Meinung nach sehr zutreffender Satz zu Metriken lautete:
Messen kann man vieles – aber was ist angemessen?
Ein kurzer Vorgriff: gerade von der Konferenz zurückgekehrt, habe ich für mein aktuelles Projekt Sonar aufgesetzt, ein Tool für statische Code-Analyse. Seitdem befasse ich mich gedanklich mit der Frage, welche der vielen hundert mitgelieferten Metriken wirklich sinnvoll anwendbar sind und welche man lieber abschalten sollte.
Das Tutorial über Software-Erosionsschutz war bestens geeignet, mental in das Thema Softwarequalität einzusteigen, was mich ja noch die nächsten drei Tage beschäftigen sollte.
Tag 1 der Konferenz – 28.04. – Metriken, Agilität und Performance
Da ich gerade dabei bin das Buch von Fowler über Refactorings zu lesen, war gleich der erste Vortrag perfekt geeignet für meine Interessen. Wafa Basit, eine Doktorandin aus Pakistan, sprach über „Extending Refactoring Guidelines to Perform Test Code Adaptation“. Sie merkte an, dass die Richtlinien von Fowler großenteils unvollständig sind weil nicht alle Randbedingungen beschrieben sind. Außerdem sei im gesamten Buch nirgends die Auswirkung eines Refactorings auf die Tests beschrieben. Diese Aussage stimmt – das Buch geht auf Tests überhaupt nicht ein, es gibt dem Leser lediglich zu verstehen dass er nach seinen Änderungen natürlich testen müsse. Wafa arbeitet daran, Refactorings tiefergehend zu automatisieren und es soll beizeiten ein Eclipse-Plugin für Refactorings veröffentlicht werden. Ich war sehr beeindruckt von der Energie und der Leidenschaft ihres Vortrags, und bin gespannt auf das versprochene Plugin.
Der zweite Vortrag des Tages bestand aus einem interessanten „Erfahrungsbericht über die Einführung von SCRUM in eCommerce und Fertigung“ bei CeWe Color. Der Speaker beschrieb anhand eines Teilprojekts, welche Herausforderungen zu bestehen waren weil zum Beispiel der Test nicht am Rand der entwickelten Anwendung zu Ende ist, sondern erst nachdem ein mit der Anwendung erstelltes Foto-Poster gedruckt und mit einer Rechnung versehen eingepackt ist. Interessant und teilweise unterhaltsam war hierbei, dass die Einführung agiler Vorgehensweisen offenbar immer wieder die selben Arten von Schwierigkeiten nach sich zieht, die dann auf mehr oder weniger kreative Art und Weise beseitigt werden. Ein wichtiger Mehrwert der für dieses konkrete Projekt beschrieben wurde, war die nahtlose Integration von QS-Mitarbeitern in das Scrum-Team. So wurde das gegenseitige Verständnis heftig verbessert und es konnte wesentlich schneller getestet werden.
Zum Mittag gab es eine wirklich hervorragende Keynote eines QS-Verantwortlichen von Daimler. Er sprach über „Elektronische Systeme im Kfz – Management der Komplexität“. Als Gedanken-Experiment kann man sich mal überlegen welche elektronischen/elektrischen Systeme einem selbst einfallen wenn man sein eigenes Auto betrachtet. Dazu kommen dann alle Systeme, die man nicht direkt sieht oder bemerkt, wie zum Beispiel spezielle Regelkreise für den Fall eines Aufpralls. Überlegt man sich dann, dass heutzutage jeder Kunde nahezu beliebig sein Wunschfahrzeug konfigurieren und bestellen kann, kann man sich ungefähr vorstellen wie viele Kombinationen von Systemen im Entwicklungsprozess eines einzelnen Modells getestet werden müssen. Ein kleines Beispiel in Zahlen: bei Mercedes kann der Kunde rein rechnerisch allein über 12 Millionen unterschiedliche Lenkräder bestellen. Tatsächlich gekauft werden allerdings „glücklicherweise“ „nur“ eine Anzahl Kombinationen im unteren fünfstelligen Bereich. Als Entwickler von Software, die man selbst schon stellenweise für komplex hält, kann man aus solchen Keynotes immer ganz beruhigt herausgehen, mit dem sicheren Gefühl: es gibt noch viel komplexere Systeme, und auch die sind offensichtlich testbar. Puh. 🙂
Den Nachmittag verbrachte ich dann noch in zwei Vorträgen des Tracks „Performance / Tools“, von denen einer für mich eher weniger interessant war, der andere vermittelte mir aber interessante Einblicke in das Steuer- und Meldesystem in Schweden und in die Entwicklung und den Test des zugehörigen Systems zur (unter anderem) elektronischen Steuererklärung.
Damit war der erste Tag schonmal sehr interessant und lehrreich.
Tag 2 – 29.04. – Gesundheitswesen, Outsourcing, Aussteller, Party
Das Vortragsprogramm am zweiten Tag war für meine Belange nicht ganz so perfekt geeignet, so dass ich einige Zeit mit Gesprächen mit Ausstellern verbracht habe. Dabei habe ich überwiegend mit Ausstellern gesprochen, mit denen ich auch in den letzten Jahren schon Gespräche geführt hatte. Überwiegend ging es hierbei aber dieses Jahr weniger um die angebotenen Produkte sondern mehr um die Vortragsinhalte und aktuelle Entwicklungen im Hinblick auf Agilität. Agilität wird seit der letzten Konferenz spürbar immer mehr zum Thema und ist anscheinend in vielen Institutionen eher ein Angst-Faktor. Dies mit verschiedenen Personen zu diskutieren war eine gute Ergänzung zu den Vorträgen.
Es gab dann zum Mittag eine auch wieder sehr unterhaltsame Keynote über „Legal Requirements for the Verification and Validation of Healthcare Applications“ vom Direktor des „Institut für IT im Gesundheitswesen“. Er zeigte sehr anschaulich, wie viele Vorschriften und Regelungen es sowohl in Deutschland als auch in Europa für die Entwicklung und QS von Anwendungen und Geräten im Gesundheitswesen gibt und wie wenig konkret diese bislang sind. Essenz der Keynote war im Wesentlichen, dass die Maßstäbe für Qualitätssicherung im Gesundheitswesen denen in anderen Bereichen weit hinterher hinken und sich gerade erst zu konkreten Ausprägungen entwickeln. Verglichen mit dem Stand der Dinge im Bereich der Luftfahrt befindet sich die definierte QS im Gesundheitswesen aktuell noch extrem in den Kinderschuhen. Interessanter Aspekt an dieser Keynote war auch, dass insbesondere die Usability bei medizinischen Geräten in vielen Fällen ein erhebliches Problem darstellt. Anwender, zum Beispiel Krankenschwestern, können teilweise die Geräte nicht ordnungsgemäß bedienen weil die Oberflächen schlecht designed sind. Hier besteht offenbar für die nächsten Jahre ein großes Maß an Handlungsbedarf.
Am Nachmittag besuchte ich dann noch einen Vortrag über „Testing as a Service at Deutsche Post/DHL IT Services“. Deutsche Post/DHL ist ein erheblich größeres Unternehmen als man gemeinhin annimmt, da die DHL-Dienstleistungen weltweit und in verschiedenen Formen angeboten werden. Da es früher pro Business Unit eigene Testabteilungen gab und dies eher ineffizient war, hat man bei DHL eine Art Reform durchgeführt und es existiert jetzt sozusagen eine Firma in der Firma, die eben jenes „Testing as a Service“ allen potenziellen Abnehmern innerhalb des Konzerns als Dienstleistung anbietet. Dieser Vortrag beeindruckte mich insbesondere durch die reine Dimension des DHL-Konzerns und seiner diversen Abteilungen, die unter anderem in den USA, in Prag, in Bonn, in Cyberjaya und diversen anderen Orten zuhause sind. Was ist Cyberjaya? Ich kannte diese Stadt vorher auch noch nicht. Ein Blick auf den entsprechenden Wikipedia-Artikel lohnt sich.
Traditionell ist der zweite Konferenztag auch der Tag an dem abends ordnungsgemäß gefeiert wird. In 2008 fand die Party noch in der LTU-Arena statt, die mittlerweile mehrfach verkauft und umbenannt wurde. Seit 2009 ist die Rheinterrasse der gesetzte Ort für das Konferenzbankett. Letztes Jahr war das Wetter zum Zeitpunkt der Konferenz bereits so sommerlich dass draußen gegrillt und gegessen werden konnte. Dieses Jahr war die Veranstaltung leider im Wesentlichen auf den Innenraum beschränkt, was aber dem Spaß keinen Abbruch tat. Es gab ein extrem hochwertiges Catering (wie auch bei der gesamten Konferenz) zu einer Candlelight-Atmosphäre, zusätzlich aufgehübscht mit einem tollen Showprogramm. Allein dafür lohnt sich eigentlich schon der Konferenzbesuch 🙂
Tag 3 – 30.04. – Testautomatisierung und Freitagsmeeting
Am Freitag, dem dritten Konferenztag, hatte ich diverse Termine in Solingen, so dass ich nur zwischendurch für einen einzelnen Vortrag und das Mittagessen nochmal zur Konferenz gefahren bin. Der Vortrag hat sich allerdings sehr gelohnt, da er vom Keyword-basierten Testen bei VW handelte. Dort wurde anhand von mehreren tausend Keywords ein kompletter Test für einen bestimmten Teil der intern verwendeten QS-Software aufgebaut. Die Automatisierung dieses sehr komplexen Tests führt dort nun zu einer erheblichen Reduzierung der Testaufwände und zu einer wesentlich besseren Gesamtqualität. Dass man ein Tool, welches die Qualität von Bauteilen sicherstellt, automatisiert auf seine eigene Qualität hin untersucht, ist doch im Grunde das perfekte Szenario für QS an QS 😉
Nach dem Mittagessen kehrte ich dann zurück nach Solingen um am traditionellen Freitagsmeeting teilzunehmen, wo ich dann auch selbst noch einen kurzen Vortrag über Android-Entwicklung halten durfte. Somit ging die Konferenzwoche, in der ich überwiegend zugehört hatte, mit einem eigenen Vortrag zu Ende. Vielleicht können wir ja bei der nächsten iqnite einen Vortrag über agiles Testen unterbringen? Das Interesse des Publikums ist jedenfalls sicher vorhanden.
Fazit und Ausblick
Die diesjährige iqnite hat mich erneut mit einer sehr großen Menge verwertbaren Inputs versorgt. Für das nächste Jahr plane ich definitiv, wieder an der iqnite teilzunehmen. Eventuell werde ich dann im Vorfeld genauer ins Programm schauen um eventuell einen Tag auszulassen wenn er thematisch nicht viel zu bieten hat, da für mich bei der Konferenz letztendlich eher die Vorträge interessant sind als die Aussteller. Ich finde es nach wie vor toll dass ich im Rahmen meines Jobs problemlos Konferenzen besuchen kann und freue mich auf die iqnite 2011!
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von Robert Spielmann
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Blog-Autor*in
Robert Spielmann
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