Noch vor kurzer Zeit war der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) nur mit großem Aufwand und ausreichend Spezialwissen möglich. Hauptsächlich große Internet-Konzerne wie Google, Apple und Facebook hatten das Geld, die Daten und die Expertise, um mittels KI innovative Produkte und Services zu entwickeln und damit Geld zu verdienen.
Inzwischen ist die Eintrittshürde für den Einsatz von KI erheblich gesunken. Aktuelle Entwicklungen, vor allem im Bereich von Cloud-Computing-Diensten, ermöglichen es nun auch kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), kosteneffizient KI anzuwenden. Dabei heißt KI einzusetzen heutzutage nicht mehr zwingend in Forschung zu investieren, sondern sie in vielen Fällen schlicht anzuwenden.
Ein möglicher Anwendungsfall in diesem Kontext ist die KI-unterstützte (Teil-)Automatisierung der Qualitätskontrolle von Bauteilen basierend auf Bilderkennung, mit dem wir uns in diesem Artikel beschäftigen.
Die Situation
Der mittelständische ACME Zulieferungsbetrieb produziert täglich Bauteile in hoher Stückzahl und liefert diese in Großaufträgen an seine Kunden aus. Die Kunden von ACME legen großen Wert auf Qualität, und bereits wenige fehlerhafte Bauteile können zur Ablehnung eines gesamten Auftrags und damit zu großen Verlusten für ACME führen.
Aus diesem Grund hat ACME strenge Qualitätskontrollen etabliert. Hier werden unter hohem menschlichen Einsatz alle produzierten Bauteile manuell überprüft. Der Großteil der manuell überprüften Teile ist dank dieser Sorgfalt fehlerfrei. Die fehlerhaften Bauteile müssen dagegen häufig im Detail überprüft werden, da neben der Beurteilung auch der Grund für den Fehler gefunden werden muss. Für diese Begutachtung ist mehrjährige Erfahrung und dediziertes Domänen-Wissen notwendig.
Zur Kontrolle von Bauteilen und zur Qualitätssicherung beschäftigt ACME 53 Mitarbeiter*innen. Je weiter ACME es schafft, einfache Sachverhalte und Standardfälle automatisiert zu bearbeiten, desto mehr Zeit haben die Mitarbeiter*innen, um Spezialfälle zu beurteilen und Fehlerursachen zu verstehen.
ACME verfügt nicht über KI-Know-how. Die Firma hat auch kein Bestreben in ein ungewisses Feld wie KI-Forschung zu investieren und sieht auch keinen Bedarf eine Data-Science-Abteilung aufzubauen. Stattdessen möchte sich ACME nach wie vor darauf fokussieren, seinen Status als Hidden Champion auszubauen. Hierfür investiert ACME regelmäßig in aktuelle Zukunftstechnologie.
Durch Cloud-Computing-Dienste bietet sich für ACME eine gute Möglichkeit, moderne KI-Technologie einzusetzen und iterativ ein KI-System in der Qualitätskontrolle einzuführen – ganz ohne hohes Anfangsinvestment in KI-Forschung. Schritt für Schritt kann der Grad an Automatisierung weiter ausgebaut werden. So können perspektivisch nicht nur Fehler, sondern auch Fehlertypen automatisiert erkannt werden.
Ein KI-System in der Qualitätskontrolle
Das grundsätzliche Ziel für ein (teil-)automatisiertes System zur Qualitätskontrolle von Bauteilen basierend auf Bilderkennung ist es, den Automatisierungsgrad der Qualitätskontrolle schrittweise zu erhöhen. In der ersten Stufe sortiert das System neu produzierter Bauteile mittels einer KI-Komponente in die Klassen „okay“, „defect“ und „unclear“. Die Idee ist im folgenden Bild dargestellt.
Teil-automatisiertes KI-System zur Qualitätskontrolle mit menschlicher Entscheidungshilfe bei unsicheren KI-Entscheidungen
In der Kategorie „unclear“ finden sich alle Bauteile, deren Qualität die KI nicht mit ausreichender Sicherheit bestimmen konnte. Das Maß an notwendiger Sicherheit lässt sich von außen vorgeben. So können z.B. nur solche Entscheidungen der KI akzeptiert werden, welche mit über 98 % Wahrscheinlichkeit getroffen wurden.
Nach dieser Beurteilung durch die KI sollten die mit „okay“ klassifizierten Bauteile perspektivisch ohne menschliche Eingriffe akzeptiert werden. Bauteile, welche durch die KI nur mit unzureichender Sicherheit klassifiziert und damit „unclear“ sind, müssen manuell nachbearbeitet werden. Die Bauteile in der Klasse „defect“ sind Gegenstand manueller Bearbeitung von Spezialist*innen. Hier liegt das Hauptaugenmerk auf Analyse des Fehlers und der Erforschung der Fehlerursachen.
Entscheidend für die Weiterentwicklung und Verbesserung des Systems ist dabei, dass alle Daten, die durch manuelle Bearbeitung entstehen, gesammelt werden. So eröffnet sich einerseits die Möglichkeit einen Feedback-Loop zu schaffen und die KI in regelmäßigen Abständen auf mehr Daten zu trainieren und so zu verbessern. Andererseits entsteht eine wertvolle Datenbasis, welche zukünftige weitere Ausbaustufen des Systems erlaubt.
Vorgehensweise
Es ist ratsam, zunächst mit einem abgegrenzten Use Case ohne zu viele Abhängigkeiten zu starten. Oft beobachten wir, dass in den ersten Feldversuchen die Ziele zu hoch gesteckt werden und man sich in der Komplexität der Aufgabe verliert. So ist es in der Praxis meistens unrealistisch, direkt in den ersten Schritten einen hohen Grad an Automatisierung anzustreben.
Anstatt sehr viel Zeit und Geld in die Entwicklung des „perfekten“ KI-Modells zu investieren, ist es häufig erfolgsversprechender, zunächst ein (teil-)automatisiertes System zu entwickeln. Dabei liegt der Fokus darauf das System tatsächlich in den bestehenden Prozess zu integrieren, um den Return on Investment schnellstmöglich zu erreichen. In dieser Phase treten typischerweise die eigentlichen Probleme auf, die gelöst werden müssen, bevor ein Mehrwert erzielt werden kann.
Grundlage für die Entwicklung ein erstes Basissystem sind die folgenden drei Kernpunkte:
- Daten beschaffen und labeln
- Woher kommt die KI?
- Integration in den Prozess
Diese werden wir nun etwas genauer beleuchten.
Daten beschaffen und labeln
Ein entscheidender Schritt für KI-Systeme ist die Verfügbarkeit einer geeigneten Datenbasis. Um ein KI-System zur Qualitätskontrolle zu trainieren, werden gelabelte Bilder von Bauteilen benötigt. Für die erste Ausbaustufe sind das Bilder, die bereits in eine Kategorie „okay“ oder „defect“ eingeordnet sind. Für weitere Ausbaustufen etwa für die Erkennung von Fehlertypen wird eine ausreichende Anzahl von Bildern je Kategorie benötigt, um verlässliche Resultate erhalten zu können.
In vielen Fällen bildet die gelabelte Datenbasis den eigentlichen Wert des KI-Systems. So ist etwa ein gutes fachliches Verständnis der Domäne notwendig, um geeignete Kategorien und Gruppen von Fehlertypen festzulegen. Daher kann es für den ersten Schritt auch sinnvoll sein, das System ohne gut funktionierende KI zu integrieren und schlichtweg Daten zu sammeln.
Woher kommt die KI?
Die traditionelle Entwicklung eines KI-Modells ist häufig mit großen Schmerzen und Aufwand verbunden. Dies entspricht in vielen Fällen nach wie vor der Realität. Eigene KI-Modelle von Grund auf selbst zu entwickeln, ist in den meisten Fällen eine nicht zu unterschätzende Aufgabe. In der Praxis führt dieses Unterfangen viele Unternehmen in eine Sackgasse und das damit verbundene Investment zahlt sich nicht aus.
Hier spielt der Teilbereich „Bilderkennung mit KI“ jedoch eine Sonderrolle, denn dieser gehört zu den am Besten gelösten Problemen im gesamten KI-Umfeld. So stellen heute viele Cloud-Anbieter bereits ausgereifte KI-Services wie zum Beispiel AutoML (Google Cloud) , Sagemaker (Amazon Webservices) und Cognitive Services (Microsoft Azure) zur Verfügung. Dies eröffnet die Möglichkeit, aktuelle KI-Technologien zu verwenden, ohne in Forschung und Entwicklung investieren zu müssen und ohne tiefes Spezialwissen aufzubauen.
Auf diese Weise kann man mit fundiertem Basiswissen bereits in wenigen Schritten ein State-of-the-art-KI-Modell zur Bildklassifikation basierend auf einem eigenen Datensatz trainieren. Das resultierende KI-Modell ist für viele Anwendungsfälle „gut genug“, um einen Mehrwert zu erzielen und kann daher zur Integration in den Prozess verwendet werden.
Es ist grundsätzlich denkbar und oft auch möglich für konkrete Anwendungsfälle bessere Modelle zu entwickeln. Dies erfordert jedoch tiefgreifendes Spezialwissen und ist typischerweise mit erheblichem Aufwand und damit Kosten verbunden. Oft stehen hier Kosten und Nutzen in keinem sinnvollen Verhältnis.
Bei einem „eigenen“ Modell müssen zudem viele technische Themen wie z. B. das Deployment des Modells und Versionierung selbst gelöst werden, welche der Cloud-Anbieter in seinem Service out-of-the-box mitbringt.
Integration in den Prozess
Wenn mit einem KI-System die Qualitätskontrolle schrittweise automatisiert werden soll, besteht die eigentliche Herausforderung nicht darin ein KI-Modell zu entwickeln, sondern darin dieses System tatsächlich in den Gesamtprozess zu integrieren. Hierbei ist unbestritten, dass das System Fehler machen wird und typischerweise ist es auch mit einem KI-System nicht wirtschaftlich eine Fehlerrate von 0 % anzustreben. Ein KI-System bietet dagegen häufig die Möglichkeit, eine tolerierbare Fehlerrate effizienter zu erreichen.
Unserer Erfahrung nach ist dabei entscheidend, das System von Anfang an nicht mit dem Gedanken „Mensch kontrolliert Maschine“ oder „Mensch überprüft die Entscheidungen der Maschine“, sondern mit dem Grundsatz „Maschine entscheidet und der Mensch unterstützt den Prozess“ aufzusetzen, um die Effizienzgewinne mittelfristig auch tatsächlich realisieren zu können.
„Die Maschine entscheidet“ kann in diesem Fall auch heißen, Bauteile als „unclear“ zu klassifizieren und damit an einen Menschen zu übergeben. Entscheidend ist es, als „okay“ klassifizierten Bauteile so zu akzeptieren und eine etwaige Fehlerrate in Kauf zu nehmen.
Um die notwendige Akzeptanz der Entscheidungen KI-Systems zu gewährleisten und die Fehlerrate des Systems periodisch zu überprüfen, sind regelmäßige Benchmarks essenziell. Oft genügt es, den Benchmark nur mit der KI-Komponente digital durchzuführen. Dies kann unabhängig von der Produktion der Bauteile durchgeführt werden. Zudem liefern diese Tests Informationen darüber, wie der Schwellenwert für die Akzeptanz der KI-Entscheidungen im System justiert werden soll.
Fazit
In der Qualitätskontrolle bietet sich für viele mittelständische Unternehmen heute eine gute Möglichkeit, aktuelle KI-Technologie einzusetzen. KI ist nun in vielen Bereichen greifbar geworden, nicht zuletzt durch aktuelle Weiterentwicklungen von Public-Cloud-Diensten. Dadurch bedeutet die Verwendung von KI nicht mehr zwingend in Forschung zu investieren und tiefes Spezialwissen aufzubauen, sondern bewährte Technologie einzusetzen.
Die Nutzung von Cloud-Diensten senkt die Eintrittsbarriere erheblich und ermöglicht es insbesondere nicht Software-affinen Unternehmen, sich auf ihre Wertschöpfungskette zu konzentrieren. Auf diese Weise kann KI in vielen Fällen zu einem sinnvollen Investment in aktuelle Zukunftstechnologien werden.
Unserer Herangehensweise an KI-Projekte haben wir in unserem On-Demand-Webinar (Deutsch) vorgestellt.
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von Marcel Mikl & Nico Axtmann
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